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Warum Improvisation so wichtig ist | Alexander Feil
Alexander Feil

Warum Improvisation so wichtig ist

Wusstest du dass ein 21-Jähriger Junge aus Singapur, die drei Schwimmgrößen Michael Phelps, Chad le Clos und Laszlo Cseh in 100m Schmetterlingsschwimmen besiegte? Und was hat das mit Improvisation am Klavier zu tun?

Wusstest du dass ein 21-Jähriger Junge aus Singapur, die drei Schwimmgrößen Michael Phelps, Chad le Clos und Laszlo Cseh in 100m Schmetterlingsschwimmen besiegte?

Es war vor ungefähr 3 Jahren bei den Olympischen Spielen in Rio 2016. Der junge Joseph Schooling, der als kleines Kind sein Idol Michael Phelps auf einer Veranstaltung getroffen hatte, wurde vom Ehrgeiz gepackt. Sein Traum war es, sich mit Michael Phelps zu messen. Nur 8 Jahre nach dem ersten Treffen wird sein Traum wahr. Nicht mehr als Fan, sondern als Gegner bei den Olympischen Spielen. Er beendete den Wettkampf mit 50,39 Sekunden als Bester, gewann Gold und stellte damit einen neuen Rekord auf. Phelps, Clos und Cseh mussten sich alle drei mit Silber zufriedengeben.

Später im Interview fragte einer der Reporter wie er das geschafft hat. Er sagte:

„I’m just ecstatic. I need to sink in“.

Um diese aussergewöhnliche Leistung zu erbringen, musste er „eintauchen“. Beim Klavierspielen verhält es sich ähnlich. Auch wir können aussergewöhnliche Leistungen vollbringen, wenn wir beim Spielen in die Musik eintauchen. Wir müssen ekstatisch und frei sein.

Die Improvisation ist der Schlüssel dafür. Durch die Improvisation erhalten wir

  • Sicherheit

  • Freiheit

  • Spaß

Improvisation schafft Sicherheit

Warst du schon einmal in einem Klettergarten? Meistens gibt es verschiedene Schwierigkeitsgrade in unterschiedlichen Höhen. Eins haben alle gemeinsam: die Sicherung. Auf jedem Streckenabschnitt gibt es ein Stahlseil in Kopfhöhe. Am Körper festgeschnallt ist ein Gurt mit Doppelkarabiner. Das sind praktisch zwei über ein Draht verbundener Karabiner, bei denen sich nur jeweils einer öffnen lässt.

An jedem Kreuzungspunkt muss man seine Karabiner auf ein neues Stahlseil einhängen. Damit auch tatsächlich nichts passieren kann, ist das System des Doppelkarabiners so ausgelegt, dass man zunächst einen der beiden Karabiner in das neue Seil einhängt. Erst wenn dieser fest geschlossen ist, kann der andere Karabiner vom alten Seil gelöst werden und ebenfalls in das neue Stahlseil eingehängt werden. Einer der beiden Karabiner ist immer fest an einem Stahlseil befestigt, auch wenn der andere geöffnet ist. Somit ist sichergestellt, dass man zu keinem Zeitpunkt ungesichert ist.

Die Improvisation ist unsere Sicherung beim Musik machen. Wenn du improvisieren kannst, bist du zu jedem Zeitpunkt im Song gesichert und dir kann nichts passieren. Dadurch dass du dich mit Improvisation beschäftigt hast, kennst du die Töne, die man an der jeweiligen Stelle im Stück spielen kann. Auch wenn du von der Original-Melodie oder Begleitung abweichst, klingt es somit nicht „daneben“. Du spielst immer noch harmonisch. Und dadurch können ganz neue Melodien und Muster entstehen und das Stück zu etwas „eigenem“ werden lassen.

Diese Form von Sicherheit erhältst du, indem du die einzelnen Teile eines Stücks übst und veränderst. Bei den meisten Stücken kannst du die Begleitung in der linken Hand einzeln spielen. Das macht man bei Üben ja sowieso — die Hände einzeln üben. Anstatt nun aber die rechte Hand wieder dazu zu spielen, spielst du über die Begleitung in der linken Hand, ganz andere Melodien. Oder Tonleiter. Oder nur die Arpeggien der Akkorde. Oder verschiedene Töne des jeweiligen Akkords. Du siehst, man kann sehr viel machen —, ohne die eigentliche Melodie des Stücks zu spielen. Das paradoxe dabei ist, du wirst durch diese Übungen die Melodie viel besser spielen können, ohne dass du sie explizit geübt hast.

Ich mache das BEI JEDEM neuen Stück! In der linken Hand spiele ich die Harmonien und in der rechten Hand mache ich mich mit den spielbaren Tönen vertraut.

In meinem Klavierunterricht erlebe ich es immer wieder. Der Schüler spielt alles richtig. Die Töne der Melodie passen, die Begleitung auch. Dennoch klingt das Stück nicht. Der Grund ist ganz einfach: fehlende Sicherheit. Die Schüler spielen dann meistens sehr zaghaft, aus Angst vor falschen Tönen. Dadurch klingt alles recht Leise, es sind keine deutlichen Abstufungen von laut und leise hörbar. Die Melodie ist genauso laut wie die Begleitung und geht darin unter.

Und alles nur, weil man Angst vor falschen Tönen hat.

Dabei braucht man gar keine Angst zu haben. Wenn du die Sicherheit hast, dass du keine Fehler spielen kannst, wird automatisch dein Anschlag kräftiger und selbstsicherer was sich direkt auf den Klang auswirkt. Das Zuhören macht auf einmal Spaß, da nun musikalische Parameter wie piano und forte deutlich zu hören sind.

Improvisation ist dein Doppelkarabiner fürs Klavier spielen…

Improvisation ist Freiheit

Improvisation ist aber nicht nur Sicherheit. Improvisation ist auch Freiheit. Es ist ein ganz tolles Gefühl, beim Spielen frei zu sein. Auch mal vom Skript abweichen können, ohne dass alles gleich den Bach runtergeht. Das macht die Musik, die ihr spielt, einzigartig. Meiner Meinung nach geht es genau darum — das Musik lebt und einzigartig wird.

Wenn du improvisieren kannst, bist du frei auch mal Parameter der Musik zu ändern, ohne dass es dich überfordert. Du kannst eine Stelle im Stück lauter und mit größeren Emotionen spielen. Oder etwas Melancholie einbauen. Du kannst das Stück so verändern, wie Du Dich gerade fühlst.

Was ich beispielsweise gerne mache, wenn ich das Stück „The River Flows In You“ bei einer Trauung oder einer Feier spiele, breche das Stück in der Mitte auf, und füge einen Improvisationsteil ein. Ich nehme mir dazu einfach die Akkorde und spiele Melodien die mir gerade in den Sinn kommen. Das macht das Stück zu etwas ganz Persönlichem, zu etwas Einzigartigem. Dadurch dass ich Improvisation genau an diesem Stück, mit diesen Akkorden geübt habe, fällt mir das sehr leicht.

Improvisation kann man lernen
Kaum einer kann auf Anhieb kreativ und inspiriert improvisieren. Aber jeder, der Musik macht, kann es lernen.

Kann ich auch „frei sein“, wenn ich mit anderen spiele?
Selbstverständlich. Die Art deiner Spielweise kannst du immer frei gestalten. Es kommt natürlich immer auf die Musik an sich an. Im Orchester mit ausnotierten Passagen sollte man keine Formteile ändern oder einfach etwas anderes spielen.

Im kleinen Jazz Trio geht das sehr wohl. Oder bei Akustik-Pop mit Gesang und Cajon.

Voraussetzung ist, dass alle zuhören.

Spielt jeder, dass was er immer schon spielt, oder wie es tausendmal in der Probe gespielt wurde, ist die Gefahr da, dass man sich nur auf das verlässt und nicht mehr hinhört. Dann geht aber auch meistens jegliche Musikalität verloren. Zuhören ist das wichtigste. Egal, ob fürs Eigene spielen oder in der Band. Man kann nur mit anderen Musikern kommunizieren, wenn man sowohl Signale aussendet und den anderen Impulse gibt, als auch zuhört — also Impulse der anderen wahrnimmt. Etwa ein Schlagzeuger der einen Rhythmus bei einem Fill-In vorgibt. Ich als Mitmusiker habe dann, wenn ich es gehört habe, die Möglichkeit darauf einzusteigen und die Rhythmik zu übernehmen. Oder aber auch bewusst wegzulassen oder einen Gegenrhythmus zu spielen.

Das kann ich nur, wenn ich zuhöre, frei bin und mich die Änderungen nicht überfordern.

Wir haben also festgestellt, dass Improvisation uns Sicherheit bringt. Improvisation ist unser Doppelkarabiner. Mit dieser Sicherheit spielen wir selbstbewusster und haben keine Angst mehr vor falschen Tönen. Zusätzlich zur Sicherheit haben wir Freiheit gewonnen. Wir können nun unser Stück oder unsere Spielart verändern, ohne uns zu überfordern.

Improvisation macht aber auch unheimlich Spaß

Es gibt eine Sache, die mich schon mein ganzes Musikerleben lang begleitet. Backing Tracks. Ein Backing-Track ist einfach ein Playback, bei dem nur das Schlagzeug klingt. Oder Schlagzeug und Harmonien. Meine Backing-Tracks sind ganz einfach und gar nicht großartig zurechtgelegt. Oft schalte ich einfach nur einen Drumcomputer an — und los geht’s 😉 Auf dem iPad gibt es Garageband, und Garageband hat mittlerweile auch verschiedene „Drummer“. Hier stelle ich einen ein, wähle ein Tempo drücke auf „Start“. Ich überlege mir keine Form und spiele einfach nur mit. Dadurch dass das Tempo und der Rhythmus klar vorgegeben ist, kann ich mich viel besser auf das Spielen konzentrieren. Meistens habe ich in der linken Hand drei oder vier Akkorde, denen ich folge.

Beispielsweise:

|: Em D | C D 😐

Ganz simpel. In der rechten Hand spiele ich dann E-Moll Tonleiter (e fis g a h c d) oder die e-Moll Pentatonik (e g a h d) darüber. Das kann ich ewig machen. Irgendwelche Melodien die mir gerade einfallen — oder Akkordarpeggien — oder einfach links nur Grundtöne und rechts ein Begleitpattern. Oder, oder, oder…

Wenn es anfängt mich zu langweilen, nehme ich neue Akkorde, verändere das Tempo und wähle einen neuen Drummer aus.

Probiert es aus! Es macht wirklich Spaß!

„Aber Improvisieren ist so schwer“.
Nun. Ja — und Nein. Improvisieren fühlt sich anfangs vielleicht schwer an, weil Du es noch nie gemacht hast. Genauso schwer wird sich aber Zeichnen, Klettern oder eine andere Beschäftigung anfühlen, wenn du es noch nie gemacht hast. Du wirst auch schnell merken wie viel leichter es dir fallen wird, wenn Du „Improvisation“ in deinen regelmäßigen Übeplan einbaust.

Auch wenn du denkst, deine Improvisation klingt langweilig
Hör nicht auf. Das ist vielleicht anfangs so, weil es noch ganz frisch ist. Es wird besser. Eine Schülerin von mir sagte mal zu mir, dass ich Ihr meine „Taschenspieler-Tricks“ zeigen soll. Es gibt nämlich ein paar einfache Tricks, die deine Improvisationen aufwerten können. Ich werde darauf in meinem Blog noch zurückkommen. Du hast nun gesehen wie die Improvisation dir in drei Punkten helfen kann. Improvisation gibt dir Sicherheit im Umgang mit den Noten, mit den Harmonien und mit den Rhythmen. Dadurch, dass du Improvisation am Stück geübt hast bist du viel sicherer. Improvisation ist auch Freiheit. Freiheit, verschiedene Aspekte der Melodie, der Form oder aber auch nur deiner Begleitung zu ändern — ohne dabei ins Schwitzen zu kommen. Mit Improvisation hast du die Möglichkeit immer wieder neue, einzigartige Versionen deines Stücks zu spielen, die nie langweilig werden. Mit Playback oder Backing-Track zu spielen und zu improvisieren macht einfach auch richtig Spaß. Genau wie Joseph Schooling beim Schwimmen kannst Du mit Hilfe von Improvisation in die Musik eintauchen, und erbringst Leistungen am Klavier, die du nie für Möglich gehalten hättest.

Nächste Schritte

Wenn du mehr über Improvisation und Klavier spielen wissen möchtest, kannst du folgendes tun:

  1. Trage dich in meinen Klavier-Newsletter ein und verfolge meinen Blog. Immer wieder geht es bei mir um diese Themen. Ich werde auch einige meiner „Taschenspieler-Tricks“ verraten 😉

  2. Schau dir meinen Ratgeber “Kickstart Improvisation“ an. Da gebe ich bereits Tipps, die deine Improvisation besser klingen lassen. Den Ratgeber gibt es mit der Anmeldung an meinem Klavier Newsletter kostenlos dazu.

  3. Fang an zu improvisieren! Hast du die erste Hürde überwunden, wird es leichter!


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